Sowohl das Video der Startseite der deutschen Fassung unserer Web-Site mit dem Titel Hogup Pumping Station, 2014, Ein-Kanal Video, HD mit Ton, als auch das Video der englischen Seite Lakeside, 2012, Ein-Kanal Video, HD mit Ton, wurde uns von Herwig Turk zur Verfügung gestellt. Der österreichische Künstler entwickelt seit 2005 im Kontext seines Forschungsprojekts The Bonneville Laboratory am Großen Salzsee im US-Bundesstaat Utah verschiedenste Videoarbeiten und Installationen, wie etwa INVERSUM (2008), Lakeside (2012), Clymanbay (2013), Hogup Pumping Station (2014) und jüngst Linescape (2016). Der Titel The Bonneville Laboratory bezieht sich auf das Terrain des Lake Bonneville, einem heute ausgetrockneten See, der einstmals ein riesiges Gebiet umfasste und sich im Pleistozän bis in den heutigen US-Bundesstaat Nevada erstreckte. Benannt wurde die Wüstenlandschaft von Lake Bonneville nach dem in Frankreich geborenen US-amerikanischen Offizier Benjamin Bonneville (1796-1878), der im Auftrag der US-amerikanischen Regierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert den Amerikanischen Westen umfassend erforschte.
In Video- und Fotoprojekten nähert sich Herwig Turk mit The Bonneville Laboratory Wahrnehmungsbedingungen von Raum und Zeit im Rahmen einer extremen Landschaft, die aufgrund ihrer Kargheit und Lebensfeindlichkeit unseren Begriff von “Landschaft” infrage stellt. Mit unterschiedlichsten Medien führt Herwig Turk einen visuellen Diskurs, der auf eine Revision der klischeebeladenen Rezeption der US-amerikanischen Land Art der 1960er und 1970er Jahre zielt, deren Historiographie bis auf den heutigen Tag von der Auseinandersetzung mit dieser Landschaft und den monumentalen Earth Works von Künstlern wie Robert Smithson, Michael Heinzer oder Walter De Maria dominiert wird. Die US-amerikanische Land Art ließ ihre Arbeiten an entlegenen Orten wie dem Lake Bonneville oder am Rande des Großen Salzsees entstehen und provozierte damit eine radikale künstlerische Geste, die vorgab, sich gegen das etablierte Kunstsystem zu richten. Sowohl die Dimensionen und Materialien der Land Art als auch die Wahl entlegener Wüstenlandschaften als deren Entstehungs- und Rezeptionsorte sollten eine einzigartige ästhetische Erfahrung in situ ermöglichen, die sich von der tradierten Kunstrezeption in urbanen Räumen abhob. Die schwer zugänglichen Wüsten im Südwesten der USA wurden als unberührte Landschaft imaginiert, die als endlos, zeitlos und somit geschichtslos galt und den Künstlern damit eine neue Form der ästhetischen Autonomie versprach, die nicht von der Verwertungslogik der Museen und kommerziellen Galerien vereinnahmt werden konnte. Diesen Mythos der US-amerikanischen Land Art, ihre Kunst in einem leeren bzw. geschichtslosen Terrain zu positionieren und damit einen sowohl räumlichen als auch ideologischen Bruch mit dem etablierten Kunstsystem zu forcieren, sucht Herwig Turk zu dekonstruieren, indem er in seinen Arbeiten dokumentiert, dass die Wüsten im Südwesten der USA, lange ehe die Land Art-Künstler diese für sich entdeckten, durch menschliche Eingriffe technologisch überformt wurden, wie durch den Abbau von Bodenschätzen oder deren Nutzung als militärisches Testgelände und Sperrgebiet durch das US-amerikanische Militär. So dient beispielsweise der Dugway Proving Ground (DPG) dem US-amerikanischen Militär seit 1941 als Testgelände für biologische und chemische Waffen – und damit gleichsam als Labor -, wie auch das militärischen Sperrgebiet Utah Test and Training Range (UTTR), das in der Nähe der Spiral Jetty liegt, einer Ikone der US-amerikanischen Land Art, die 1970 von Robert Smithson geschaffen wurde. Die grafischen Muster, die auf Luftaufnahmen der Sperrgebiete sichtbar werden, weisen die Wüste von Utah als ein von Technologie tief gezeichnetes Terrain und einem geradezu apokalyptischen Ort aus, was US-amerikanische Land Art-Künstler wie Robert Smithson schlicht ignorierten.
Herwig Turk lebt und arbeitet in Wien und Lissabon. Seine Projekte und Arbeiten entstehen im Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Wissenschaft. Von 2010 bis 2013 war er „Artist in Residence“ am IMM (Instituto da Medicina Molecular), Lissabon. Von 2003 bis 2009 arbeitete Turk mit Paulo Pereira, dem Leiter der ophthalmologischen Abteilung von IBILI (Institute for Biomediacal Imaging and Life Sciences, Coimbra), zusammen. In den letzten Jahren wurden seine Arbeiten unter anderem im MAK Museum für angewandte Kunst, Wien, im Seoul Museum of Art, Seoul, im Neues Museum Weserburg, Bremen, im TESLA Labor für Medienkunst, in der Galerie Georg Kargl, Wien und bei der Transmediale, Berlin, gezeigt. Derzeit arbeitet Herwig Turk an der monografischen Ausstellung Herwig Turk. Landschaft = Labor für das MMKK (Museum Moderner Kunst Kärnten), die Ende September 2016 eröffnet wird. Seit 2014 unterrichtet er als Senior Artist in der Abteilung Social Design an der Universität für angewandte Kunst Wien.