Ingeborg Reichle spricht im April in der Klasse Grafik und Druckgrafik über Kunst und Reproduktionsgrafik
Am 29. April wird Ingeborg Reichle in der Klasse Grafik und Druckgrafik von Jan Svenungsson einen Vortrag halten über Kunst und Reproduktion: Fotografie und Reproduktionsgrafik im Spannungsfeld zwischen Original und Kopie: Bilder und Kunstwerke wurden immer schon vervielfältigt, zum Beispiel durch Nachzeichnungen. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an ermöglicht die Erfindung des Holzschnitts (Hochdruckverfahren) und einige Jahrzehnte später die Erfindung des Kupferstichs (Tiefdruckverfahren) die Reproduktion und Verbreitung von Bildern in einem bis dahin ungekannten Ausmaß. Mit dem Ende des 14. Jahrhunderts hatte sich die Herstellung und Verwendung von Papier in Europa durchgesetzt und bot sich als idealer Träger für diese neuen technischen Reproduktionsverfahren an.
Im 15. Jahrhundert kam es jedoch nicht nur im Bereich der Bilder zu einer bis dahin nicht gekannten Verfügbarkeit sondern auch im Bereich der gedruckten Schrift. Die Erfindung beweglicher Lettern und der Druckerpresse durch Johannes Gutenberg revolutionierte die Buchproduktion und löste in Europa eine Medienrevolution aus. Die Kombination von Bild- und Textreproduktion blieb über Jahrhunderte allerdings eine große Herausforderung, da die Reproduktion von Bildern weitaus aufwendiger und kostspieliger war als die drucktechnische Vervielfältigung von Texten.
Die neuen Reproduktionsmedien eröffneten den Künstlern der Renaissance (und deren Auftraggeber) sowohl neue Ausdrucksmittel für ihre Kunst als auch die Möglichkeit ihre Kunstwerke, wie zum Beispiel Gemälde oder Freskoarbeiten über die lokalen Örtlichkeiten hinaus bekannt zu machen. Die Werke von Künstlern wie Raffael oder später Rembrandt wurden nicht zuletzt deshalb so berühmt, da diese Künstler eng mit Kupferstechern kooperierten und dafür Sorge trugen, dass die Reproduktionen ihrer Kunstwerke einen großen Verbreitungsgrad erlangten.
Die Verbreitung von Kunst- und Bildwerken erfolgte bis ins 18. Jahrhundert hinein jedoch nicht in erster Linie durch bildliche Reproduktionen sondern durch Sprache, bzw. Texte. Dies lag zum Einen daran, dass die Reproduktion von Kunstwerken teuer war und zum Anderen daran, das über Jahrhunderte nicht so sehr das einzelne Kunstwerk von Interesse war, sondern das Leben, bzw. die Viten der Künstler. Die Vorstellung, dass Kunst- und Bildwerke nicht allein durch Sprache vermittelt werden können, führte im 19. Jahrhundert zur Erfindung einer Vielzahl von technischen, bzw. mechanischen Reproduktionstechniken – von der Lithografie bis zur Fotografie – da man sich im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild von der Kunst machen wollte und es galt diese selbst in Augenschein zu nehmen.
Im Bereich der Reproduktionsgrafik wurde im 19. Jahrhundert trefflich darüber gestritten, welche Medien besonders geeignet seien für die Reproduktion von Kunst und wie das Verhältnis von Original und Kopie, bzw. Reproduktion zu bewerten sei. Anknüpfend an visuelle Strategien, die bereits von grafischen Reproduktionsverfahren bekannt waren, gingen frühe Kunsthistoriker und Archäologen, Verleger und Museen im 19. Jahrhundert daran auf Fotografien gestützte Bildarchive einzurichten und umfassende Publikationswerke vorzulegen. Der Einsatz von foto-mechanischen Verfahren ließ die Fotografie bald zum unangefochtenen Standard für die Reproduktion und Vermittlung von Kunstwerken werden womit andere Verfahren verdrängt wurden und nur mehr in Nischen überlebten. Der Einsatz von Reproduktionsgrafik, fotomechanischen Verfahren und optischen Instrumenten machte das technische Bild zu einem wichtigen Erkenntnisinstrument in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Kunst (Kunstgeschichte und Archäologie) und führte zu komplexen Diskussionen über das Verhältnis von individuellem Kunstwerk und Reproduktionsmedien sowie zu einer Kritik der visuellen Wahrnehmung und der Position des Wissenschaftlers innerhalb der Trias von Kunst-Bild-Wissenschaft.
Publikationen:
Ingeborg Reichle: Neue Medien in der Bildung: PROMETHEUS – Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung und Lehre. In: Kritische Berichte, Heft 2/2001 S. 87-89.
Ingeborg Reichle: Medienbrüche. In: Kritische Berichte, Heft 1/2002, S. 41-56.
Ingeborg Reichle: PROMETHEUS. Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung und Lehre. Ein internetgestütztes Konzept zur Zusammenführung heterogener Wissensquellen am Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin (zusammen mit Horst Bredekamp). In: Humboldt-Spektrum 4/2002, S. 48-53.
Ingeborg Reichle: Fotografie und Lichtbild: Die unsichtbaren Bildmedien der Kunstgeschichte. In: Anja Zimmermann (Hg.): Sichtbarkeit und Medien: Austausch, Verknüpfung und Differenz von naturwissenschaftlichen und ästhetischen Bildstrategien, (Tagungsband) Hamburg 2004, S. 177-191.
Ingeborg Reichle: Bildende Kunst. In: Klaus Sachs-Hombach (Hg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden. Frankfurt a. M. 2005, Suhrkamp Verlag, S. 320-334.
Ingeborg Reichle: Kunst-Bild-Wissenschaft. Überlegungen zu einer visuellen Epistemologie der Kunstgeschichte. In: Ingeborg Reichle, Steffen Siegel, Achim Spelten (Hg.): Verwandte Bilder. Die Fragen der Bildwissenschaft, Kadmos Verlag, 2007, S. 169-189
Ingeborg Reichle: Wege in eine »Bildweltgesellschaft«. Globale Tranfer- und Austauschbewegungen verändern die visuelle Kultur (unter Mitarbeit von Oliver Lerone Schultz). In: Akademiemagazin 2011/2012, S. 46-50
Ingeborg Reichle: IMAGE MATCH: Neue Indices einer globalen Bildtheorie. In: IMAGE MATCH. Visueller Transfer, „Imagescapes“ und Intervisualität in globalen Bild-Kulturen. Herausgegeben von Martina Baleva, Ingeborg Reichle und Oliver Lerone Schultz, Wilhelm Fink Verlag, München 2012, S. 9-24.
Ingeborg Reichle: Vom Ursprung der Bilder und den Anfängen der Kunst. Zur Logik des interkulturellen Bildvergleichs um 1900. In: IMAGE MATCH. Visueller Transfer, „Imagescapes“ und Intervisualität in globalen Bild-Kulturen. Herausgegeben von Martina Baleva, Ingeborg Reichle und Oliver Lerone Schultz, Wilhelm Fink Verlag, München 2012, S. 131-150.